„Die Ein-Fach-Lehrkraft darf kein Tabu mehr sein.“

Ein Beitrag von Prof. Dr. Wolfgang Böttcher (Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Qualitätsentwicklung/Evaluierung an der Universität Münster) aus dem Newsletter vom 07. Mai 2021.

Foto: Wolfgang Böttcher

In der universitären Phase wird das wissenschaftliche Fundament für die spätere berufliche Tätigkeit der Lehrerinnen und Lehrer gelegt. Sie legitimiert die Höhe der Alimentierung der Beamtenschaft und gestattet es ihr, sich in der Selbstbeschreibung als Profession zu präsentieren.

Ein unbefangener Blick auf diese erste Phase der Lehrkräftebildung (einfachheitshalber denken wir im Folgenden an die Sekundarstufen der allgemeinbildenden Schulen) sollte eine gewisse Verwunderung auslösen. Die Abiturientin, die Lehrerin werden möchte, muss zwei Fächer wählen, die sie aus der eigenen Schulzeit kennt und die sie – nicht unbedingt in der Leistungsspitze – erfolgreich absolviert hat. Sie findet sich in Seminaren wieder, in denen womöglich mehrheitlich Kommiliton*innen sitzen, die nur ein Fach studieren, in dem sie besonders gute Leistungen erzielt hatten. Und sie erlebt mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass die Dozent*innen sich nicht dafür interessieren, welche fachlichen Inhalte Gegenstand der schulischen Curricula sind. Sie kann aber hoffen, dass sie von den (wenigen) fachdidaktischen Angeboten für ihren zukünftigen Beruf profitieren kann. Vergessen wir nicht die ausgedehnte Praxisphase, so dass – freundlich gerechnet – noch 20 % der Studienzeit für das übrig ist, was die Bildungswissenschaften anbieten: Pädagogik, Psychologie, Soziologie. Das Programm, das sich die Bildungswissenschaften selbst aufgegeben haben, ist allerdings beträchtlich. In den „Standards der Lehrerbildung für die Bildungswissenschaften“ soll nicht nur Unterrichten, es sollen auch Erziehen, Beraten und Innovieren gelernt werden. Das wird schwierig, wenn der Begriff Standards ein strukturiertes und verbindliches Beherrschen von wissenschaftsbasierten Kompetenzen meint.

Wer nun vermuten würde, dass man unsere Lehramtsstudentin mit einem gut strukturierten Curriculum durchs Dickicht führt, um ihr zu helfen, alle notwendigen Kenntnisse zu erwerben, sieht sich getäuscht. Der Studienverlauf ergibt sich im Kern durch spontane und zufällige Wahlen der Studierenden. Die Universitäten wollen zwar für die Schule bilden, sie halten aber „Verschulung“ des Studiums für eine Todsünde.

Überfrachtung und Zufälligkeit öffnen das Tor zum Dilettantismus und schmälern die Attraktivität des Berufs. Dies gilt besonders für diejenigen, die sich durch MINT-Fächer gewühlt haben und nun Jobangebote bekommen, die Geld und Karriere versprechen. Lehrkräftemangel mündet in Notprogramme für den Quer- und Seiteneinstieg. Und der wird auch deshalb zu einem strukturellen Problem, weil es damit zwei deutlich unterschiedliche und unterschiedlich aufwendige Wege zum Lehramt gibt. Dieses Zwei-Wege-System ist offensichtlich ungerecht.

Eine Innovation zur Reduktion der skizzierten Probleme ist schlicht und praktikabel – und international nicht unüblich, hierzulande aber fast ein Tabu: Die Ein-Fach-Lehrkraft. Unter Absehung spezifischer Strukturüberlegungen, für die hier der Raum fehlt, kann man grob sagen: Jedes Element der Lehrerbildung – fachlich, didaktisch und bildungswissenschaftlich – könnte vertieft studiert werden, mit dem Ergebnis erhöhter Kompetenz. Im Hinblick auf die Quereinstiege kann von einem Konvergenzmodell der Studienwege gesprochen werden, das die großen Differenzen reduziert. Selbstverständlich sollte es mit allen Möglichkeiten zur Karriereentwicklung durch berufsbegleitende Angebote (z.B. auch für ein zweites Fach) ausgestaltet sein. Hier wären die lehrerbildenden Universitäten gefordert, die allerdings bislang in der Lehrkräftefortbildung eine eher bescheidene Rolle spielen.