“Um ein Kind zu erziehen, brauchst du ein ganzes Dorf”

Ein Beitrag von Andreas Niessen (Schulleiter der Helios Gesamtschule Köln) aus dem Newsletter Monitor Lehrerbildung vom 05.08.2021.

Dieses afrikanische Sprichwort bringt es auf den Punkt: Kinder und Jugendliche benötigen zum Erwachsenwerden nicht nur Lehrkräfte, sondern viele andere Menschen mit den verschiedensten Erfahrungen und Professionen – von der Handwerkerin bis zum Krankenpfleger, vom Psychologen bis zur Verwaltungsangestellten, von der Sozialarbeiterin bis zum ehrenamtlich arbeitenden Lese-Großvater. Modern ausgedrückt: Erziehung und Bildung sind nur in einem multiprofessionellen Kontext denkbar. 

Foto: Thekla Ehling

Die Realität in unseren Schulen sieht vielfach noch anders aus: 95% aller dort arbeitenden Erwachsenen sind ausgebildete Fachlehrkräfte. Der fachliche Anteil an der Ausbildung überwiegt, andere Dimensionen kommen in der Lehramtsausbildung nur randlich vor. Im Studium bleiben die künftigen Lehrkräfte weitgehend unter sich – das Studieren in multiprofessionellen Teams ist nicht vorgesehen. Mit Menschen anderer pädagogischer Professionen kommen angehende Lehrkräfte meist erst dann zusammen, wenn sie ihre erste Stelle an einer Schule antreten. Und dann ist die Hierarchie eindeutig, das wird allein schon in der schultypischen Terminologie deutlich: man sitzt im Lehrer*innenzimmer, trifft sich in der Lehrer*innenkonferenz und führt einmal im Jahr einen Lehrer*innenausflug durch. Schwerer aber noch wiegt, dass systematische und in der Schule strukturell verankerte Teamarbeit in den wenigsten Fällen den Alltag von Lehrkräften bestimmt.

Was also müssen wir ändern, damit Kinder und Jugendliche in unseren Schulen gut begleitet werden können? 

  1. Die Haltung verändern. Lehrkräfte sind vor allem ausgebildet für die Gestaltung von Unterricht, von anregungsreichen Lernumgebungen. Sie müssen und dürfen akzeptieren, dass es andere pädagogische Professionen gibt, die ihre Expertise in das Lernen und Leben an der Schule einbringen. Neugierde, die Lust auf Kooperation im multiprofessionellen Team und die Bereitschaft, auf die Heranwachsenden aus vielfältigen Perspektiven heraus zu blicken, sind wesentliche Voraussetzungen für gelingende multiprofessionelle Teamarbeit. 
  2. Mehr und anders zusammengesetztes Personal. Nicht nur aufgrund des Lehrkräftemangels, sondern vor allem aus grundsätzlichen Erwägungen heraus brauchen wir an unseren Schulen mehr Menschen, die ihre je spezifische Expertise in die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen einbringen. Nur mit Fachlehrkräften können wir Heranwachsende nicht adäquat auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereiten. Wichtig dabei: Hierarchien – auch einkommensbezogene – zwischen den verschiedenen Berufsgruppen gehören abgeschafft.
  3. Multiprofessionalität schon in der Lehramtsausbildung. Multiprofessionalität erlernen wir nicht allein am grünen Tisch. Daher brauchen wir entsprechende Erfahrungen und Bereicherungen schon im Studium und im Referendariat: Gemeinsame Seminare mit Studierenden anderer (pädagogischer) Professionen, Praktika in pädagogischen Berufsfeldern auch außerhalb von Schule und spannende Projekte und Aufgabenstellungen, die nur im multiprofessionellen Team umgesetzt werden können.